Anthropologie und Ethik. Frühjüdische Literatur und Neues Testament – Wechselseitige Wahrnehmungen
Das für 2012 geplante 4. internationale Symposium steht im Zusammenhang mit dem längerfristig angelegten Forschungsprojekt „Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti“, das die wissenschaftliche Erschließung der literarischen und nichtliterarischen Zeugnisse des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit für das Verständnis und die Interpretation des Neuen Testaments zum Ziel hat (für weitere Informationen s. http://www.uni-jena.de/CJH.html), und das auf Symposien, deren viertes 2012 in Heidelberg stattfinden wird, durch den interdisziplinären und internationalen wissenschaftlichen Austausch wesentlich vorangetrieben wird.
Thematisch widmet sich das 4. internationale Symposium 2012 in Heidelberg der engen Korrelation von Anthropologie und Ethik und beleuchtet anhand konkreter Einzelthemen (s. unten) anthropologische Plausibilitätsstrukturen ethischer Überzeugungen. Da in diesem Bereich besonders signifikante Schnittmengen zwischen frühem Judentum und entstehendem Christentum zu verorten sind, ist deren präzise Analyse für das Gesamtprojekt von erheblicher Bedeutung. Im Rahmen des komparativen Ansatzes des Projekts wird dieses übergreifende Thema jeweils in Paarvorträgen „wechselseitig“ von neutestamentlicher sowie frühjüdischer Literatur, darunter besonders den sog. Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments, beleuchtet.
Das Symposium ist mit Beiträgen aus den Gebieten der Judaistik, der alttestamentlichen Wissenschaft, der neutestamentlichen Wissenschaft und der Klassischen Philologie interdisziplinär angelegt. Es ist Teil eines Gesamtprojektes zur Erforschung der wechselseitigen Einflüsse zwischen griechisch-römischer Antike, hellenistischem Judentum sowie den Traditionen des frühen Christentums und ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung, dient in diesem Rahmen der Erforschung der jüdischen und christlichen Wurzeln der europäischen Kultur und trägt zum aktuellen kulturgeschichtlichen Diskurs um anthropologische und ethische Werte und Normen sowie deren historische Voraussetzungen und Bedingungen bei.
Seit den 1970er Jahren des 20. Jhs ist die zentrale Bedeutung der sog. Pseudepigraphen für die Erforschung des religionsgeschichtlichen Kontexts des entstehenden Christentums zunehmend in den Blick geraten. Trotz einer inzwischen stattlichen Anzahl an Monographien und Aufsätzen zu diesen Schriften ist der Forschungsbedarf hier jedoch nach wie vor hoch. „There is a vast terrain waiting for further exploration“ (James Charlesworth: The JSHRZ and OTP: A Celebration, in: Jüdische Schriften in ihrem antik-jüdischen und urchristlichen Kontext, hg. v. H. Lichtenberger und G. Oegmena, JSHRZ Studien 1, Gütersloh 2002, 11-34: 17), wie exemplarisch schon daran deutlich wird, dass erst vor wenigen Jahren ein erstes umfassendes Kommentarprojekt zu den Pseudepigraphen unter Leitung von Loren Stuckenbruck (Princeton), einem der für das Symposium vorgesehenen Referenten, begonnen wurde (bis dato sind sieben Bände erschienen, aber es sind noch nicht einmal alle Kommentare vergeben). Insbesondere besteht hinsichtlich der detaillierten, systematischen Auswertung der Schnittmengen zwischen den Pseudepigraphen und dem Neuen Testament noch ein reiches Explorationsfeld, in dem sich die im Rahmen des CJHNT entstehenden Publikationen verorten und in dem ganz besonders das 4. Internationale Symposium zum Projekt CJHNT angesiedelt ist.
Zentrale Themen paulinischer Anthropologie sind zuletzt von George H. van Kooten (als Referent eingeladen) in ihrem antiken Kontext erörtert worden (Paul’s Anthropology in Context, Tübingen 2008). Den Bereich frühjüdischer und frühchristlicher Sexualethik hat insbesondere William Loader in mehreren Publikationen erörtert. Der programmatische Ansatz des Symposiums unterscheidet sich dabei insofern von dem üblichen Zugang, Einzelthemen neutestamentlicher Schriften von ihrem traditionsgeschichtlichen Kontext her zu erhellen, als hier gezielt „wechselseitige Wahrnehmungen“ angestrebt werden. Studien, die speziell die Zusammenhänge zwischen anthropologischen und ethischen Überzeugungen analysieren und dabei frühjüdische und neutestamentliche Texte wechselseitig in Beziehung setzen, also nicht nur Texte des Neuen Testaments von der frühjüdischen Literatur her zu erklären suchen, sondern umgekehrt auch neutestamentliche Texte als Teil der frühjüdischen Religionsgeschichte für das Verständnis frühjüdischer Literatur auswerten, bilden ein dringendes Desiderat der Forschung.
Aus dem Themenbereich Anthropologie und Ethik wurden sieben Subthemen identifiziert, um ein facettenreiches Bild der Wechselbeziehungen sichtbar zu machen. Der Bogen wird von schöpfungstheologischen Grundlagen der Anthropologie bis hin zu eschatologischen Aspekten gespannt. Darin eingebettet finden sich die anthropologische Erörterung des Problems des Bösen bzw. der Sünde und die Diskussion zentraler materialethischer Fragen, die den Menschen in seinem Verhältnis zu seiner Sexualität, zu seinem Besitz und in seiner Bedürftigkeit in den Blick nehmen. Diese Subthemen werden jeweils in Paarvorträgen erörtert, in denen eine frühjüdische und eine neutestamentliche Perspektive miteinander in Beziehung gesetzt werden. Die Referentinnen und Referenten jedes Paares werden dazu schon im Vorfeld in Kontakt zueinander treten, um auf dem Symposium selbst die jeweils andere Perspektive berücksichtigen zu können. Die wechselseitigen Wahrnehmungen werden durch Workshops, in denen einzelne Texte detailliert erarbeitet werden sollen, unterstützt.
Kontakt:
Prof. Matthias Konradt
Wissenschaftlich-Theologisches Seminar
Kisselgasse 1
69117 Heidelberg
Tel: +49 (0) 6221 54 3311
E-Mail: matthias.konradt@wts.uni-heidelberg.de / annette.dosch@wts.uni-heidelberg.de