Sprache und Wissen - Probleme öffentlicher und professioneller Kommunikation

Das Symposion dient Experten und Nachwuchswissenschaftlern dazu, sich im Rahmen eines interdisziplinären und internationalen Wissenschaftsaustausches damit auseinanderzusetzen, wie Stereotype sich innerhalb einzelner Wissenskulturen auf die disziplineigene Erkenntnisfähigkeit auswirken. Dabei wird davon ausgegangen, dass Wissen und Erkenntnisse innerhalb einer Wissenskultur sprachabhängig gewonnen werden. Innerhalb des Symposions sollen daher wissenschaftsspezifische und mögliche interdisziplinäre Diskursverfahren erörtert, verglichen und diskutiert werden. Ziel ist es, sowohl innerhalb der wissenskultureigenen Forschung den aus Stereotypen entstehenden „Gedankenfallen“ auszuweichen als auch einen wissenskultureigenen Fachdiskurs zu führen, der sich nicht in der Darstellung und Variation von Stereotypen der eigenen Wissenskultur erschöpft („selbstreflexive Wissenschaftsbespiegelung“).

Aufbauend auf die Auseinandersetzung mit Stereotypen innerhalb abgrenzbarer Wissenskulturen beschäftigen sich die Teilnehmer des Symposions im weiteren Verlauf mit den Auswirkungen von Stereotypen auf die mediale Aufbereitung von Wissen und Erkenntnissen. Im Fokus stehen hier die Wissenschaftsstereotype, wie sie sich in den (Massen-) Medien finden; diese werden vor dem Hintergrund der Erkenntnisse über wissenskulturspezifische Stereotype betrachtet und vergleichend rückbezogen.

Im Marsilius-Kolleg haben sich auf universitärer Ebene über die Wissenschaftskulturen hinweg interdisziplinäre Interaktionsformen etabliert, wie sie auf diesem Kolloquium – insbesondere durch die öffentliche Podiumsdiskussion mit Fellows des ersten und zweiten Jahres – auch der breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen. In diesem Kontext ist das Symposion eingebunden als Partner der Initiative Wissenschaftsjahr 2009 Forschungsexpedition Deutschland, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie der Initiative „Wis­senschaft im Dialog“ finanziell getragen wird. Initiiert und getragen wird das Symposion wesentlich von den Projektleitern des Forschungsnetzwerks „Sprache und Wissen“ (www.suw.uni-hd.de). Das diesbezügliche Interesse der Industrie an Stereotypen in Wissenskulturen und deren Vermittlung in Medien zeigt sich an der von der BASF SE bewilligten finanziellen Förderung des Symposions.

Aus diesem Rahmen ergeben sich die folgenden erkenntnisleitenden Fragen als Gegenstand für das Symposion:

  • Welche Stereotype lassen sich innerhalb einer Wissenskultur feststellen, und wie wirken sich solche Stereotype auf die Forschung innerhalb einer Wissenskultur aus?
  • Welche Auswirkungen besitzen Stereotype einer Wissenskultur auf den darin vorhandenen Wissensschatz? Ist unser Wissen direkt an (sprachlich hergestellte und bestätigte) Stereotype geknüpft? 
  • In welchem Verhältnis stehen Stereotype einer Wissenskultur zu den Diskurs-Spezifika unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen und den darin stattfindenden Sachverhaltsfixierungsversuchen mittels Sprache?
  • Welche sprachlichen Mittel auf lexikalischer/phraseologischer, syntaktischer, textueller etc. Ebene werden bewusst oder unbewusst in Diskursen dazu eingesetzt, Stereotype herzustellen oder zu festigen?

Das Marsilius-Kolleg als interdisziplinäre Dialogplattform tritt in diesem Symposion in exponierter Weise insofern in Erscheinung, als Fellows des ersten Jahres mit Fellows des zweiten Jahres über bioethische Themen aus der Perspektiven unterschiedlicher Wissenskulturen diskutieren. Diese inhaltliche Ausrichtung mit dem Fokus auf Stereotype wird methodisch erweitert, indem

Referenten der Theologie, Soziologie und Kognitionspsychologie ihre methodischen Vorstellungen im Umgang mit Diskursgepflogenheiten ihrer jeweiligen Wissensdisziplin einbringen. Ziel ist also die Verlinkung thematischer Schwerpunktbildung per se als interdisziplinär zu bezeichnender Themen wie Bioethik und sog. Sterbehilfe mit methodischen Fragen, wie sie bisher relativ isoliert in den Wissenschaftsdisziplinen – mitunter hermetisch abgeschottet – „kultiviert“ werden. Eingebettet ist die Veranstaltung in das Forschungsnetzwerk Sprache und Wissen - Probleme öffentlicher und professioneller Kommunikation, das auf einem Zusammenschluss überwiegend linguistischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler basiert, die sich zum Ziel gesetzt haben, in verschiedenen gesellschaftlich relevanten Wissensdomänen aus linguistischer Perspektive die sprachliche Konstitution von fachbezogenen Sachverhalten zu untersuchen. Dabei wird zum einen die fachsprachliche Konstitution der jeweiligen fachspezifischen „Gegen­stände“ in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen in den Blick genommen, zum anderen geht es um die öffentliche Kommunikation, in der die fachlichen „Wissens“-Bestände über Medien so vermittelt werden, dass die Rezipienten sie als wissenschaftlich begründete „Fakten“ bzw. als „Realitäten“ wahrnehmen.

Das Forschungsnetzwerk kooperiert inzwischen mit Fellows des Marsilius-Kollegs und zeichnet sich durch die auf spezifische Wissensgebiete zugeschnittenen „Forschungstandems“ aus, die aus sprachlich interessierten Kooperationspartnern der jeweiligen Disziplinen einerseits und in diesen Fächern kundigen Sprachwissenschaftlern andererseits bestehen. Das Netzwerk rekrutiert und betreut ferner systematisch Nachwuchswissenschaftler, und mit der vom Antragsteller im de Gruyter-Verlag herausgegebenen Buchreihe Sprache und Wissen verfügt es über eine eigene Publikationsplattform. Die folgenden Wissensdomänen bilden die Struktur:

  • Medizin und Gesundheitswesen (Thomas Spranz-Fogasy / Albert Busch / Susanne Ditz / Detlef Brehmer)
  • Wirtschaft (Markus Hundt / Jana Tereick)
  • Unternehmen und Organisation (Stephan Habscheid / Andreas Müller / Klaus-Peter Konerding)
  • Architektur und Stadt (Ingo H. Warnke / Anne-Marie Châtelet)
  • Geschichte - Politik - Gesellschaft (Martin Wengeler / Kersten Roth / Alexander Ziem / Edgar Wolfrum)
  • Natur - Literatur - Kultur (Berbeli Wanning / Axel Goodbody
  • Naturwissenschaft und Technik (Wolf-Andreas Liebert / René Zimmer / Konrad Beyreuther)
  • Recht (Ekkehard Felder / Markus Nussbaumer / Friedrich Müller / Ralph Christensen)
  • Kunst - Kunstbetrieb - Kunstgeschichte (Andreas Gardt / Marcus Müller)
  • Bildung und Schule (Jörg Kilian / Dina Lüttenberg / Sandra Nitz)
  • Religion (Alexander Lasch / Wilfried Härle)
  • Mathematik (Vasco Alexander Schmidt / Helmut Neunzert)
  • Deutsche Sprache (Gerd Antos / Jochen A. Bär / Jürgen Spitzmüller)

Alle beteiligten Fellows des Marsilius-Kollegs und Vertreter der im Forschungsnetzwerk verankerten Wissensdomänen argumentieren aus der Sicht ihrer Wissensdomäne, die im Rahmen des Symposions auf ihre Allgemeingültigkeit, Transformationspotentiale und Anschlussfähigkeit geprüft werden sollen. Aus diesem Grund wird das Gesamtprogramm des Symposions mit thematischen Schwerpunkten versehen. Zum einen legt es einen hinsichtlich der Fragestellung exemplarischen Schwerpunkt auf den Themenbereich der Bioethik (mit spezifischem Fokus auf das gesamtgesellschaftlich stark umstrittene (Medien)Thema der sog. Sterbehilfe) und den sich hiermit überwiegend beschäftigenden Wissenskulturen; zum anderen eröffnet die öffentliche Podiumsdiskussion zu dem Thema "Wissenschaftsstereotype in Medien" die Möglichkeit, diskursive Verfahren unterschiedlicher Wissensdomänen bei den erwähnen identischen Themen herauszuarbeiten.

Der Forschungsstand lässt sich an den Publikationen, den Projektbeschreibungen und Projektzielen der beteiligten Marsilius-Fellows (siehe http://www.marsilius-kolleg.uni-heidelberg.de/) und den Projektbeschreibungen und Projektzielen auf der Homepage des Forschungsnetzwerks einsehen sind (www.suw.uni-hd.de). Diese Darstellungen der Aufgabenfelder sind von den Projektleitungen der einzelnen Wissensdomänen festgelegt worden. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass fast alle Projektleiterinnen und Projektleiter entweder ihre Dissertation oder Habilitationsschrift in dem jeweiligen Wissensgebiet angefertigt haben und seitdem einschlägig für die jeweilige Wissensdomäne sind, was sich unter anderem daran zeigt, dass die meisten der beteiligten Wissenschaftler in den letzten Jahren nach ihrer Habilitation einen Ruf als ordentlicher Professor bzw. Professorin einer Hochschule angenommen haben.

Es ist ein Desiderat, dass die unterschiedlichen diskursiven Verfahren in den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen nicht nur auf den randunscharfen Terminus „Diskurs“ und „Stereotyp“ abgeglichen werden, sondern vor allem auch die unterschiedlichen Methoden gegenseitig zur Kenntnis genommen werden. Deswegen referieren Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen wie Prof. Dr. Klaus Tanner (Theologie, Heidelberg), Prof. Dr. Reiner Keller (Soziologie, Landau/München) und der Kognitionspsychologe PD Dr. Peter Wiedemann (Helmholtzzentrum Jülich, Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Bereich 8: Ethik in den Neurowissenschaften). Beteiligte der öffentlichen Podiumsdiskussion sind die Marsilius-Fellows Anderheiden, Bardenheuer, Flor und Felder sowie die erwähnten Referenten.

Die Fragestellung des Symposions kann nach den oben dargelegten Ausführungen wie folgt zugespitzt werden: Welche Stereotype entstehen mit welchen diskursiven Spezifika innerhalb einer Wissenskultur, und welche Auswirkungen haben diese auf den wissenschaftlichen Arbeitsalltag, die mediale Darstellung und des interdisziplinären Austausch?

 


Exemplarische Zuordnung zu neuer Literatur:

  • Domasch, Silke (2007): Biomedizin als sprachliche Kontroverse. Berlin / New York
  • Felder, Ekkehard /Müller, Marcus (Hg.) (2009): Wissen durch Sprache. Berlin / New York
  • Felder, Ekkehard (Hg.) (2006): Semantische Kämpfe. Macht und Sprache in den Wissenschaften. Berlin / New York
  • Geideck, Susanne / Liebert, Wolf-Andreas (Hg.) (2003): Sinnformeln. Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungssystemen. Berlin / New York
  • Habscheid, Stefan (2003) Sprache in der Organisation. Berlin / New York
  • Liebert, Wolf-Andreas / Weitze, Marc-Denis (Hg.) (2006): Kontroversen als Schlüssel zur Wissenschaft? Wissenskulturen in sprachlicher Interaktion. Bielefeld
  • Warnke, Ingo (2007) (Hg.): Diskurslinguistik nach Foucault. Berlin / New York
  • Wengeler, Martin (2003): Topos und Diskurs. Begründung einer argumentationsanalyti­schen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960-1985). Tübingen
  • Ziem, Alexander (2008): Frames und sprachliches Wissen. Berlin / New York
  • Warnke, Ingo/Spitzmüller, Jürgen (Hg.) (2008): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene. Berlin/New York.



Kontakt:
Prof. Dr. Ekkehard Felder
Universität Heidelberg, Germanistisches Seminar
Hauptstraße 207-209, 69117 Heidelberg
Tel. 06221 54 32 39, Fax 06221 54 32 57
felder@gs.uni-heidelberg.de

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Letzte Änderung: 13.10.2011
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