Modernization and Intellectual Authority in US Literary Culture, 1750-1900

Im Zuge der Herausbildung der demokratischen Erwerbsgesellschaft und des kapitalistischen Marktes geraten die US-amerikanischen Autoren und "schöngeistigen" Intellektuellen im 19. Jahrhundert zunehmend unter Legitimationsdruck. Sie müssen den Wert ihrer Aktivitäten als Gruppe sowie die Wert des Produkts Literatur gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit und den tonangebenden Vertretern des Nützlichkeitsdenkens verteidigen. Dabei entwickeln sie unterschiedliche Legitimierungs- und Behauptungsstrategien. So kehren z.B. die Autoren der American Renaissance (Poe, Hawthorne und Melville) dem Markt vermeintlich den Rücken und verteidigen die Intellektualität von einer Position aus, die abseits des Nützlichkeitsdenkens liegt; die Frauenautoren der Zeit zeigen sich dagegen eher bereit, sich den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen und verzichten dabei auf die öffentlichen Anerkennung als Intellektuelle.

Auf der Tagung sollen die unterschiedlichen Legitimierungs- und Behauptungsstrategien der literary intellectuals im Rahmen der von dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu entwickelten Feldtheorie neu in den Blick genommen werden. Es soll geklärt werden, ob die Legitimationsproblematik des modernen Autors und Intellektuellen als Funktion gesellschaftlicher Modernisierungsschübe beschrieben werden kann, die wiederum im Zusammenhang mit den Ausdifferenzierungsprozessen kultureller Felder und eines zunehmend beschleunigten literarischen Marktes stehen. In dem für die Tagung relevanten Zeitraum lassen sich mehrere Modernisierungsschübe ausmachen: Der erste wäre in der Revolution des literarischen Marktes zwischen 1750 und 1800 zu verorten und mit der Demokratisierung der öffentlichen Sphäre und der Entstehung einer breiten Leserschaft ("mass audience") in Verbindung zu bringen. Als zweiten Modernisierungsschub könnte man die modernistischen Tendenzen zur Professionalisierung der Wissenschaften zwischen 1850 und dem radikaleren Bruch zwischen hochspezialisierter Kulturproduktion und populärer Massenkultur ("high brow/low brow") um 1900 ansetzen. Der dritte Modernisierungsschub wäre dann in der weiteren Ausdifferenzierung kultureller Felder im zwanzigsten Jahrhundert zu erblicken, die vor allem nach dem zweiten Weltkrieg, mit dem Ausbau des Universitätssystems, zur Institutionalisierung von Intellektuellenkulturen in den universitären Bildungssystemen führt.

Der Blick auf die Wechselverhältnisse zwischen literarischer Autorität und der Modernisierung kultureller Felder soll klassische Fragen der "intellectual history" mit einem sozial-geschichtlichen und soziologischen Rahmen versehen, so dass das in der Moderne immer wieder beschworene Dilemma des Intellektuellen und des professionellen Autors mit den Transformationen der öffentlichen Sphäre und der wirtschaftlichen Entwicklung in Verbindung gebracht werden kann.

In seiner klassischen Studie, The Anti-Intellectualism in American Life (1963), positioniert Richard W. Hofstadter die amerikanischen Intellektuellen – ihrem eigenen Selbstbild folgend – außerhalb des Marktes, beschwört aber zugleich die Gefahr ihrer Bedeutungslosigkeit; dieser Argumentationslinie bleiben auch die Aufsätze in dem neueren Sammelband The Public Intellectual: Between Philosophy and Politics (2003), hg. von M. Melzer, J.Weinberger und M. R. Zinman, noch weitgehend treu. Dagegen hat Richard A. Posner in Public Intellectuals: A Study of Decline (2001) den Versuch unternommen, die Arbeit der amerikanischen Intellektuellen im Blick auf die Bedingungen der postindustriellen Mediengesellschaft neu zu fassen – ein Versuch, der von der Fachwelt wegen seines unhistorischen Vorgehens jedoch heftig kritisiert wurde. Unsere Tagung versucht nun, mit Hilfe des Bourdieuschen Ansatzes die historischen Grundlagen für eine Neukonzeption der Rolle der Intellektuellen innerhalb der demokratischen Marktgesellschaft zu erarbeiten.

Darüber hinaus soll die Tagung auch einen Impuls für eine transatlantische Reorientierung der oft immer noch der Vorstellung eines "American Exceptionalism" verhafteten American Studies liefern. Denn der figurationssoziologische und  feldspezifische Zugang zu den amerikanischen Intellektuellenkulturen macht deutlich, dass trotz der nationalistischen Rhetorik amerikanischer Intellektueller und Schriftsteller transnationale Modernisierungskräfte "hinter" den nationalen "imagined communities" wirken und sich in den intellektuellen Legitimationsdiskurs einschreiben.

Mit John Guillory (New York University) konnte der bekannteste Vertreter Bourdieuscher Literatursoziologie in der Anglistik als Keynote Speaker gewonnen werden. Lawrence Buell (Harvard University), ein ausgewiesener Kenner der transzendentalistischen Intellektuellenkultur um Ralph Waldo Emerson, Jonathan Arac (University of Pittsburgh), bekannt durch seine Schriften zur Ausdifferenzierung des amerikanischen literarischen Feldes im neunzehnten Jahrhundert, und Winfried Fluck (JFK Institut, Berlin), der einflussreichste zeitgenössische deutsche Vertreter der amerikanischen Literatursoziologie, werden in weiteren Keynotes ihre je eigenen Perspektiven in die Konferenz einbringen. Die anderen eingeladenen Vortragenden haben in den letzten Jahren ebenfalls wichtige Beiträge zu einer Neukonzeption der Rolle der literarischen Intellektuellen im neunzehnten Jahrhundert geleistet.

Wir verstehen die Tagung als „kick-off“-Projekt für einen größeren, interdisziplinären DFG Antrag zum Thema "Modernisierung und Kultur", der in naher Zukunft in Zusammenarbeit mit dem Heidelberg Center for American Studies gestellt werden soll.

 



Kontakt:
Prof. Dr. Dietmar Schloss
Universität Heidelberg, Anglistisches Seminar und HCA
Kettengasse 12, 69117 Heidelberg
Tel. 06221 54 28 34, Fax 06221 54 28 77
dietmar.schloss@urz.uni-heidelberg.de

Webmaster: E-Mail
Letzte Änderung: 17.12.2010
zum Seitenanfang/up