Performative Lernkulturen

Als Teil des Sonderforschungsbereichs 619 „Ritualdynamik“ waren wir in den letzten Jahren Teil der wissenschaftlichen Neubeschäftigung mit dem Rituellen als interdisziplinäres Forschungsfeld. Eines der Resultate der langjährigen Forschung zeigt, dass Ritual und ritualisierte Praxis eine große Rolle in Wissensübertragungen und Lernpraktiken spielen, zum Beispiel als unterstützende Praxis in Bildung (Wulf 2007, Polit 2011), oder als verkörpertes Repertoire einer Gemeinschaft (Hornbacher 2005, Taylor 2003). Rituelles und performatives Lernen schließt typischerweise Prozesse mit ein, die nicht direkt auf die kognitiven Fähigkeiten des Menschen abzielen, sondern können am besten als eine Dimension der verkörperten menschlichen Erfahrung verstanden werden (siehe Sax und Polit 2011). Wie genau Wissen rituell übertragen wird und wie ritualisierte Praxis Lernen unterstützt, bleibt jedoch noch unklar.

In dieser Konferenz wollen wir die Ritualforschung um einen wichtigen Teilaspekt voranbringen. Wir wollen diskutieren, wie rituelle Praxis, Körpergedächtnis und Lernprozesse zusammenhängen. Basierend auf neuen Ergebnissen der Ritualtheorie, Performanzstudien und Emotionsethnologie wollen wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen verschiedener Fachrichtungen der Frage nachgehen, wie Rituale und Teilaspekte von rituellen Praktiken, z.B. ritueller Tanz und rituelle Bewußtseinszustände,  erlernt werden und welchen Effekt rituelle Aspekte in alltäglichen Lernprozessen haben. Die performative Aneignung und Ausführung von Ritualpraktiken in historischer, ästhetischer und pädagogischer Perspektive sollen deswegen in unserer Tagung näher beleuchtet werden. Dabei wird die ebenfalls in jüngster Zeit aufgekommene Diskussion von sinnlicher Wahrnehmung im Ritual im Zusammenhang mit der Frage nach Körper- oder Leibgedächtnis (Fuchs 2011) aufgegriffen, und anhand verschiedener interdisziplinärer Fallbeispiele näher betrachtet werden. Es sollen also in den zwei Tagen unserer Konferenz, die beiden Diskursstränge Performanz und sinnliche Wahrnehmung im Ritual miteinander verflochten werden. Wir werden uns auf der einen Seite mit der sinnlichen Erfahrung im Ritual beschäftigen und dabei versuchen, mit der Analyse von sinnlichen Erfahrungen einen substantiellen Beitrag zu Ritualtheorie zu leisten, und anderseits diskutieren, wie uns die bisher geleistete interdisziplinäre Arbeit zu Ritualtheorie helfen kann, Lernpraxis und Wissensübertragungen besser zu verstehen.
So wird die Konferenz in drei verschiedene Panels aufgeteilt werden: Zunächst werden wir uns mit dem Erlernen von Ritualverhalten bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen beschäftigen. Dann werden wir die Rolle der Sinne und der sinnlichen Wahrnehmung in der Ritualperformanz und für das rituelle Gedächtnis diskutieren, um dann auf Ausbildungspraktiken innerhalb verschiedener Ritualtraditionen zu sprechen zu kommen.

Interdisziplinäre Ausrichtung

So wie der Mensch nicht nur hören oder nur sehen kann, ohne auch andere Dinge gleichzeitig wahrzunehmen, so spielen auch im Ritual verschiedene Dinge, die die menschlichen Sinne und den menschlichen Intellekt in gleicher Weise anregen eine zentrale Rolle. Im Ritual verdichtet sich das Netzwerk der Sinne und der sinnlichen Stimulation also zu einer Gesamtwirkung – es erzeugt eine bestimmte Atmosphäre, eine bestimmte Wirksamkeit und eventuell einen gewünschten Effekt. Um die Erfahrung von rituellem Lernen und rituelle Lernkulturen diskutieren zu können, haben wir daher eine Reihe von Wissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlern verschiedener Disziplinen eingeladen, die sich alle auf die eine oder andere Weise mit Performanz, Tanz und Körper beschäftigen.
Geladen sind Experten aus Wissenschaft und Praxis. Es ist uns gelungen, führende deutschsprachige Wissenschaftler der Performanztheorie (Prof.  A. Hornbacher, Prof. P. Köpping), der Tanz- und Musikwissenschaft (Prof. Leopold, Prof. R. Stabel), der Erziehungswissenschaft (Prof. F. Dubois) und der Ritualwissenschaft (Prof. U. Hüsken) für unser Vorhaben zu gewinnen. Darüber hinaus ist von den Kolleginnen und Kollegen, die dem Mittelbau zuzuschreiben sind, sich aber durch ihre Publikationen bereits als exzellente Wissenschaftler ausgewiesen haben (wie etwa J. Weinhold), sowie von den Nachwuchswissenschaftlern mit vielversprechendem Potential (wie M. Hanstein, M. Kirsch, G. B. Heiter) ein großer inhaltlicher Mehrwert für die geplante Veranstaltung zu erwarten. Dabei ging es uns vor allem um eine interdisziplinäre Ausrichtung (geladen sind Anthropologen, Performanzwissenschaftler, Musikwissenschaftler, Tanzwissenschaftler, Indologen, Theaterwissenschaftler, medizinische Psychologen), ohne dabei Praktiker, wie Prof. Ralf Stabel, Dr. Saju George oder in solche Prozesse eingebundene Geistliche außer Acht zu lassen. Wir sind davon überzeugt,  dass hier die interdisziplinäre Zusammenarbeit und die interdisziplinäre Kontextualisierung tatsächlich zu einem Mehr an Erkenntnis führen kann.
 

Programm

Kontakt:

SFB 619 Ritualdynamik  Dr. Hanna Walsdorf (TP B 7)
Uni Heidelberg, SFB 619
Musikwissenschaftliches Seminar, Augustinergasse 7, 69117 Heidelberg

Telefon: +49 6221 54-2846                           
Fax:        +49 6221 54-2787                       
E-Mail: hanna.walsdorf@zegk.uni-heidelberg.de


Dr. Karin Polit (TP A 4)
SFB 619, Uni Heidelberg, Institut für Ethnologie
Sandgasse 7, 69117 Heidelberg

Telefon: +49 6221 54-3440                           
E-Mail: kpolit@sai.uni-heidelberg.de

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Letzte Änderung: 11.10.2012
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