Erscheinungsbild und Handhabung heiliger Schriften

Der Umgang mit „Heiligen Schriften“ sowie ihre materiale Präsenz stehen im Fokus dieses Workshops, und nicht, wie so häufig, die konkreten Inhalte der Texte selbst.

„Heilige Schriften“ sind auch Textträger, aus Materialien bestehend, die aufgrund ihrer beabsichtigten Verwendungsweise ausgewählt worden sind. Bereits diese verwendeten Materialien, aber auch die Art der Erstellung und der Beschriftung geben uns heute Hinweise auf ihre Nutzung und praktische Verwendung: War ein solcher Textträger fest an einem Ort installiert oder war er beweglich, konnte er gelesen werden oder widerspricht die Art seiner Materialität und räumlichen Anbringung bereits einer Lesbarkeit durch lebende Menschen (vgl. z. B. für den Einsatz bei Ritualen geschriebene Textpapyri in Ägypten, aus denen rezitiert wurde und die daneben als Grundlage für eine ordnungsgemäße Ritualdurchführung dienten – Lesbarkeit war dagegen offenbar kein wesentliches Element z. B. bei magischen Gemmen, deren beschriftete Schauseite verdeckt auf mittelalterlichen Goldschmiedeobjekten angebracht wurde, oder deren beschriftete Rand- und Rückseiten nicht mehr sichtbar waren, wenn sie in der Antike als Ring gefasst wurden.

Die Präsenz eines solchen Textträgers geht über eine räumliche Installation hinaus, indem sie seine Eingebundenheit in kulturspezifische bzw. gesellschaftlich normierte Handlungsbereiche mit berücksichtigt. Welche Handlungen wurden mit und an den Textträgern „Heilige Schriften“ ausgeführt, gab und gibt es beim Umgang mit ihnen Beschränkungen in den akzeptierten Handlungen und im Kreis der zum Umgang berechtigten Menschen (vgl. das – vom Schreiber abgesehen – weitgehende Berührungsverbot der Torahrollen z. B. oder grundsätzlich die ausschließliche Verwendung altbalinesischer Schriftzeichen für zugangsbeschränkte Texte). War ein solcher Text dazu gedacht, benutzt und gelesen, vielleicht in einem festen rituellen Rahmen nach spezifischen Bestimmungen verwendet zu werden oder war allein seine bloße Präsenz bereits der hauptsächliche Grund für seine Erstellung (vgl. die Sutrensteine des buddhistischen Wolkenheimklosters, die zum Deponieren an verborgenen Orten und damit allein zur Speicherung der buddhistischen Lehren für kommende Zeitalter erstellt wurden oder auch die bei Grundsteinlegungen von mittelalterlichen Kirchen in den Boden eingelassenen beschrifteten Objekte).

Was unter „Heiligen Schriften“ konkret zu verstehen ist, wird dabei nicht ohne Grund zunächst relativ offen gelassen und ebenfalls zur Diskussion gestellt. „Heilige Schriften“, so der allgemeinste Konsens, sind im Außeralltäglichen zu verorten, deren Identifizierung in einer spezifischen Kultur zu einer bestimmten Zeit stark von den kulturspezifischen Eigenheiten abhängt. Ist es immer der Inhalt solcher Texte, der sie zu „Heiligen Schriften“ macht? Einerseits bedingt ihre „Heiligkeit“ einen besonderen Umgang mit ihnen, dessen konkrete Ausgestaltung mannigfaltige Formen annehmen kann. Andererseits tritt doch auch oft der konkrete Inhalt der Texte in seiner Bedeutung zurück, wenn vielmehr die Art des Schriftträgers und der Umgang mit ihm diesen erst zu einer „Heiligen Schrift“ macht (vgl. die derart verschiedenen Verwendungsformen der fünf Bücher Mose einmal als handgeschriebene Torahrolle mit strikten Vorschriften zu ihrer Erstellung und Handhabung als Ausdruck ihrer „Heiligkeit“, im Vergleich mit dem Umgang des gleichen Textes in typographisch vervielfältigten Büchern, die jedem zur Benutzung, zum Anfassen, zum Lesen offen stehen und auch im Vergleich mit handschriftlichen Codices, die bezüglich Exklusivität und restringiertem Zugang eine Mittelposition einnehmen). Gesellschaftliche Bedeutung von „Heiligen Schriften“ lässt sich an Eigenschaften des Objektes wie der Qualität des Textträgers selbst ermessen (– so wurde für ägyptische Totenbücher in der Regel unbenutzter Papyrus verwendet, wohingegen für zahlreiche andere Schriftbereiche die Wieder- und Weiterverwendung von Papyrus relativ gebräuchlich war–) oder an der Sorgfalt des Schreibstiles und der verwendeten Schrift.

 

Diesen Fragen soll im Rahmen des Workshops nachgegangen werden.

Die Vorträge aus verschiedenen Fachrichtungen liefern dabei mit einer Bandbreite an exemplarischen Beispielen aus verschiedenen Zeiten und Kulturen sowie mit allgemeinen Überlegungen die Grundlage der im Zentrum des Workshops stehenden Diskussion. Neben der interdisziplinären Vernetzung dient diese vor allem dem Austausch über diese Thematik der Erscheinungsformen und des Umganges mit „Heiligen Schriften“, von dem wir uns gegenseitige Anregungen für die eigenen Forschungen versprechen – in Form von neuen Ideen, neuen Fragestellungen, und auch mag die kulturübergreifende Kontrastierung den Blick für Besonderheiten beim eigenen Forschungsgegenstand bzw. für dessen Einordnung in einen allgemeinen, kulturübergreifenden Kontext schärfen.

Programm

Kontakt:

Prof. Joachim F. Quack

Ägyptologisches Institut

Marstallhof 4

69117 Heidelberg

Telefon: +49 (0) 6221 54 2532

E-Mail: Joachim_Friedrich.Quack@urz.uni-heidelberg.de

 

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Letzte Änderung: 20.12.2011
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